von Ansgar Drücker
Die 2018 eingerichtete Landesfachstelle Hessen „Queere Jugendarbeit“ des Hessischen Jugendrings hat u.a. mit der ersten Sitzung eines neu eingerichteten Runden Tisches am 08. November und einer Fachveranstaltung am 30. November 2018 ihre Arbeit aufgenommen.
Peter Martin Thomas erläuterte in seiner Einladung die besonderen Anforderungen an die Jugendarbeit mit jungen queeren Menschen: „Jugendlich sein ist eh schon nicht einfach. Für queere Jugendliche kommt noch etwas oben drauf.“ Dieser zusätzliche Rucksack für LSBT*I-Jugendliche umfasst ein höheres Suizidrisiko sowie eine höhere Wahrscheinlichkeit für Depressionen und schädlichen Drogenkonsum. Anliegen der Fachveranstaltung ist es daher sich den Lebenswelten junger queerer Menschen anzunähern, spezielle Angebote für sie kennenzulernen, aber auch für die bewusste Öffnung von Mainstream-Angeboten der Jugendarbeit für diese Zielgruppe zu werben.
Denn ein Ziel der Einrichtung der Landesfachstelle, so ihr Leiter Patrick Haas, sei die Vernetzung und der Wissenstransfer mit dem Ziel einer möglichst diskriminierungsfreien Teilhabe queerer Jugendlicher an möglichst vielen und differenzierten Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe. Die Landesfachstelle bewege sich dabei im Dreieck zwischen Trägern queere Jugendarbeit, den Jugendverbänden und der LSBT*I-Community. Sie bietet Beratung für öffentliche und freie Träger der Jugendhilfe an.
Claudia Krell stellt erstmals öffentlich die Ergebnisse einer aktuellen Studie des Deutschen Jugendinstituts „Queere Freizeit“ vor (Downloadlink: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2018/26869_DJI_QueereFreizeit.pdf). Die Studie umfasst Aussagen zur Freizeit junger queerer Menschen in den Feldern Freizeit, Sport, Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, (jugend)kulturelle Orte und öffentlicher Raum. Positiv überraschend ist, dass 55 % der interviewten Jugendlichen an einer LSBT*I-Jugendgruppe teilnehmen oder teilgenommen haben. Wenn von den über 7.000 Jugendzentren in Deutschland nicht einmal 20 einen deutlichen Schwerpunkt auf LSBT*I-Jugendarbeit haben, wird deutlich, dass vor allem in der offenen Jugendarbeit eine Öffnung für das Thema und eine Selbstreflexion der Heteronormativität des Angebots notwendig erscheint. Um den Erstzugang zu den speziellen Angeboten queerer Jugendarbeit zu erleichtern, empfiehlt die Autorin ein „Coming in“ anzubieten, also das bewusste In-Empfang-Nehmen neuer Besucher_innen eine halbe Stunde vor der normalen Öffnungszeit, um ein Kennenlernen der Einrichtung, der pädagogischen Fachkräfte und des Charakters des Angebots zu ermöglichen.
Torsten Schrodt stellt aus Sicht der NRW-Fachberatungsstelle für sexuelle Vielfalt und Jugendarbeit „gerne anders!“ die Strukturen queerer Jugendarbeit in NRW vor. 2018 ist es gelungen die Mittel für queere Jugendarbeit im Landeskinder- und -jugendförderplan des Landes NRW zu verstetigen, so dass die queere Jugendarbeit dort jetzt formal dieselbe Absicherung besitzt wie beispielsweise die kulturelle Jugendarbeit oder die Offene Jugendarbeit. Zwar sei in NRW mit dem anyway in Köln bereits 1991 das erste schwule Jugendzentrum eröffnet worden. Die Entwicklung von Strukturen und Angeboten queerer Jugendarbeit habe jedoch erst mit einem Modellprojekt in den Jahren 2001 bis 2014 begonnen, im Rahmen dessen der Träger, für den Torsten Schrodt tätig ist, beispielsweise Angebote am Niederrhein entwickelt und aufgebaut habe. Inzwischen umfasst die Landkarte für ganz NRW über 20 Angebote in den verschiedenen Regionen des Bundeslandes. Der Fördertitel ist sowohl für die allgemeine Jugendarbeit als auch für die Community zugänglich, so dass sich die Doppelstrategie der Unterstützung von eigenen queeren Angeboten und der Öffnung etablierter Angebote oder Träger auch fördertechnisch niedergeschlagen hat.
Tobias Müller und Sebastian Lütgens berichten von einem Angebot queerer Jugendarbeit als Teil des Angebots eines traditionellen Jugendverbandes. Die Jugendgruppe „Seidu“ der Naturfreundejugend Braunschweig lädt zu offenen Treffen und weiteren Aktivitäten ein, für die Räume und Gruppenunterkünfte der Naturfreundejugend genutzt werden können. Die beiden Vertreter bekräftigen die besondere Gefährdung und Belastung einiger queerer junger Menschen, die das Angebot nutzen, und bestätigen, dass die Themen sexueller Missbrauch, Depression, Gewalt, Krisen und Suizidgefahr bei ihnen eine Rolle spielt – „Es kann sehr extrem werden“.
In der anschließenden gemeinsamen Diskussion mit den Referierenden wird festgehalten, dass es sinnvoll sei, die Information über Angebote queerer Jugendarbeit schon vor der Pubertät und damit vor dem Coming out zu streuen, damit möglichst vielen jungen Menschen die Existenz der Angebote queerer Jugendarbeit schon bekannt ist, wenn ihr Coming out beginnt. In Mainstream-Jugendzentren ohne spezielle queere Ausrichtung oder Angebote sei es wichtig die Offenheit für junge queere Menschen sichtbar zu zeigen, beispielsweise durch Plakate, das Auslegen von Flyern, eine Regenbogenfahne und die wiederholte selbstverständliche Thematisierung von Fragen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Vielfalt durch pädagogische Kräfte im Alltag.
Als Fazit lässt sich benennen, dass viele Träger der Kinder- und Jugendhilfe queeren Personen zwar offen gegenüberstehen, sie aber nicht notwendigerweise den Schritt gehen eigene Angebote zu konzipieren, einen bewussten Öffnungsprozess zu initiieren oder für die Sichtbarkeit des Themas zu sorgen. Ein Referent fühlte sich an Ulrich Beck erinnert, der (allerdings im Kontext der Gleichstellung der Geschlechter) von verbaler Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre gesprochen hatte.
Der zentrale Aspekt queerer Jugendarbeit spiegelt sich in dem wiederholt in der DJI-Studie geäußerten Eindruck wieder, sich bei Angeboten queerer Jugendarbeit nicht erklären zu müssen. Die sexuelle Orientierung bzw. die geschlechtliche Identität werden von vielen als stark verbindend erlebt. Spezifische Angebote für Mädchen oder für Trans*-Personen sind allerdings weiterhin wichtig und notwendig, auch wenn insgesamt in der queeren Jugendarbeit das Miteinander von LSBT*I-Personen selbstverständlicher ist als in älteren Generationen.
Mit der Fachveranstaltung ist es gelungen, fast 50 Fachkräfte aus Jugendverbänden, Jugendämtern, von freien Trägern und aus der LSBT*I-Community zu versammeln. Dies ist ein hoffungsvoller Auftakt für die Landesfachstelle Hessen „Queere Jugendarbeit“, zeigt aber auch die Bedeutung der Thematik im Alltag der Jugendarbeit. Deutlich wurde aber auch, dass die besonderen Herausforderungen, Schwierigkeiten und Risiken des Heranwachsens und des Alltags von jungen LSBT*I nicht allen Trägern und Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe und auch den Jugendverbänden durchgehend bewusst sind.